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Coronavirus – exklusive Lizenzen für Medikamente?

Gerade in Zeiten einer Pandemie ist die Verfügbarkeit von Arzneimitteln, sei es zur Behandlung oder Prophylaxe, ein heiß begehrtes Gut, für Private wie für Regierungen. Daher verwundern Schlagzeilen wie „US Regierung sichert sich exklusive Rechte an einem Impfstoff von CureVac“ oder „Chinesischer Arzneimittelhersteller steigt mit Millionen bei Biotech-Startup BioNTech ein und sichert sich Exklusivrechte“. Sind in Zeiten einer Pandemie die geistigen Eigentumsrechte derart „ausgesetzt“, dass die „Allgemeinheit“ eine Art Carte-Blanche-Lizenz an diesen Rechten hat?

Stand: 31.03.2020

Zwangslizenz

Sind in Zeiten einer Pandemie die geistigen Eigentumsrechte derart „ausgesetzt“, dass die „Allgemeinheit“ eine Art Carte-Blanche-Lizenz an diesen Rechten hat?

Diese Frage ist nach dem österreichischen Patentgesetz [1]noch am einfachsten zu beantworten. Das Stichwort dazu lautet: „Zwangslizenz“: Gemäß § 36 Abs 5 PatG [2] kann eine Zwangslizenz beim Patentamt von jedermann für seinen Betrieb beantragt werden, wenn „die Erteilung einer Lizenz an einer patentierten Erfindung im öffentlichen Interesse geboten“ ist. Wenn der Bund diese beantragt, dann muss er die Führung eines Betriebs nicht nachweisen. Dass im Falle einer Pandemie ein öffentliches Interesse vorliegt, wird schwer zu bestreiten sein – anders wäre der Fall (zumindest bislang), wenn die Zwangslizenz „bloß“ zur Minderung der Arbeitslosigkeit [3]beitragen könnte. Rechtsprechung in Österreich ist rar, aber ein öffentliches Interesse wird etwa dann zuerkannt, wenn im Inland medizinisch taugliche Ausweichprodukte existieren – was zum jetzigen Zeitpunkt nicht der Fall ist. Der BGH drückte dies zum deutschen Patentgesetz, welches eine ähnliche Bestimmung enthält, im Jahre 2019 wie folgt aus:

Ein die Erteilung einer Zwangslizenz für ein Arzneimittel gebietendes öffentliches Interesse kann zu bejahen sein, wenn durch nach anerkannten Grundsätzen der Biostatistik signifikante Ergebnisse einer klinischen Studie nachgewiesen ist, dass der Wirkstoff des Arzneimittels bei der Behandlung schwerer Erkrankungen therapeutische Eigenschaften aufweist, die für andere auf dem Markt erhältliche Mittel nicht oder nicht in demselben Maße belegt sind, insbesondere durch die Behandlung das Risiko des Patienten gesenkt wird, infolge der Erkrankung zu versterben, oder wenn solche überlegenen Eigenschaften auf andere Weise nachgewiesen werden“ (BGH vom 4.6.2019, X ZB 2/19; Alirocumab)

Vor Einräumung einer Zwangslizenz muss sich der „Zwangslizenznehmer“, um eine marktübliche Lizenz [4]bemühen. Von diesem Erfordernis gibt es eine einzige Ausnahme, nämlich kann davon bei „Vorliegen eines nationalen Notstandes oder sonstiger Umstände von äußerster Dringlichkeit abgesehen werden“ (§ 37 Abs 3 PatG [5]). Rechtsprechung dazu gibt es bislang keine. Für das Erdulden der Zwangslizenz ist der Patentinhaber nach den Grundsätzen für Maßnahmen enteignungsgleicher Wirkung (Art 1 1.ZPMRK) finanziell zu entschädigen. Der Zwangslizenznehmer hat daher eine marktkonforme Lizenzgebühr zu zahlen, die wohl erst nach drei Instanzen endgültig festgelegt wird. Es wird abzuwarten sein, ob Zwangslizenzen in nächster Zeit eine größere Rolle spielen werden oder nicht. Dass dies in der Praxis relevant werden kann, hat gerade der Fall in Deutschland aufgezeigt.

Reverse Engineering

Die Krux an diesem Instrument ist, dass es nur dann greift, wenn ein Patent existiert – Know-How, das im Unternehmen besteht, aber nicht als Patent angemeldet ist, ist einer Zwangslizenz nicht zugänglich. Die Richtlinie (EU) 2016/943 [6] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung schweigt dazu. Was die Richtlinie sehr wohl stipuliert ist, dass die Richtlinie keine Exklusivrechte an als Geschäftsgeheimnis geschütztem Know-how einräumt (Erwägungsgrund 16). Damit wird durch die Richtlinie das Konzept des „Reverse Engineering“ eingeführt, um Innovation zu fördern und Wettbewerb zu erhalten (siehe Erwägungsgrund 16 und 17). Ist dies ein gangbarer Weg, um die Rechte für die Öffentlichkeit zu sichern bzw für ein privates Unternehmen, welches die gleichen Dienste anbieten möchte?

Unter dem Begriff Reverse Engineering versteht man eine vergleichende Produktanalyse bzw die Zerlegung eines Produktes, um basierend auf dieser Analyse das Produkt nachzubauen. Primär wird der Begriff mit der Softwareindustrie verbunden, hat sich aber nun auch in anderen Bereichen, wie dem Maschinenbau, durchgesetzt. Was die Know-How Richtlinie grundsätzlich aber zulässt, ist, dass dies vertraglich (etwa in einem Lizenzvertrag) ausgeschlossen werden kann. Wer würde von diesem Recht nicht Gebrauch machen? Dass die Richtlinie ein Reverse Engineering erlaubt, wenn dies nicht vertraglich ausgeschlossen wird, muss bei der Vertragsgestaltung jedenfalls berücksichtigt werden. Auch inwieweit solch ein Ausschluss nicht kartellrechtliche Bedenken mit sich zieht, muss geprüft werden, wenn dies ein marktbeherrschendes Unternehmen seinen Kunden aufzwingt (marktunübliche Konditionen, die bei einem funktionieren Wettbewerb nicht akzeptiert werden würden). Wie dies UWG-rechtlich ausschaut sei auch dahingestellt, da die sklavische Nachahmung eines Produktes normalerweise mit Hilfe des UWG abgestellt werden kann. Daher gilt es vorher abzuklären, welche anderen Normen solch einen Unterfangen entgegenstehen.

Hinzu kommt wohl noch der technische Aspekt: Reverse Engineering mag zwar einen gangbaren Weg für ein Medizinprodukt darstellen (zum Beispiel der Nachbau von Beatmungsteilen durch 3D-Drucker in italienischen Krankenanstalten), aber bei der Herstellung eines Arzneimittels, insbesondere bei einem immunologischen Arzneimittel, kommt es auf den Herstellungsprozess an. Blaupausen für Herstellungsprozesse von Arzneimitteln sind nicht über das Internet erhältlich, der Herstellungsprozess eines Arzneimittels ist vielmehr eines der bestgehüteten Geheimnisse eines jeden Arzneimittelherstellers.

Auch im Rahmen einer Pandemie bleibt das Auskundschaften eines Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses [7], um es zu verwerten, gemäß § 123 StGB [8] strafbar – möge dies auch noch so sehr im Allgemeininteresse erfolgen. § 123 StGB [8] ist als Privatanklagedelikt ausgestaltet, aber wenn die Auskundschaftung für das Ausland erfolgt (§ 124 StGB [9]) mutiert dies zu einem Offizialdelikt. Hier umfasst der Begriff Ausland ausnahmsweise auch die EU-Staaten (RS 0125292). Daher wird es bei gut geschütztem Know-How schwierig werden, eine „Zwangslizenz“ zu Gunsten der Allgemeinheit zu erreichen bzw der Nachbau durch ein privates Unternehmen.

Verstaatlichung?

Somit verbleiben nur mehr zwei Wege, entweder der Staat/ein Staatsfond/staatliches Unternehmen kauft sich ein und erwirbt Geschäftsanteile [10], was vom Goodwill des zukünftigen Vertragspartners abhängt, oder das Unternehmen wird per Gesetz verstaatlicht. Vorexerziert wurde dies schon durch das Verstaatlichungsgesetz aus dem Jahre 1946 (BGBl 1946/168), und dass der Gesetzgeber gewillt ist auch in jetziger Zeit so vorzugehen, war in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher Pressemeldungen. Nach ständiger Judikatur muss eine Enteignung in jedem Fall im öffentlichen Interesse liegen und für den angestrebten Zweck erforderlich sein (unter vielen VwGH 2.11.2016). Im Bundesgesetz über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr. 15, Braunau am Inn (BGBl 2017/4 [11]) wurde das öffentliche Interesse in § 1 wie folgt definiert: „Zur dauerhaften Unterbindung der Pflege, Förderung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts oder eines bejahenden Gedenkens an den Nationalsozialismus nimmt der Bund das Eigentum lastenfrei an der Liegenschaft EZ 217 KG 40005 Braunau am Inn in Anspruch.“

Hier wäre wohl die Aufrechterhaltung der Gesundheit der österreichischen Bevölkerung und (wohl) der Volkswirtschaft – Abwendung einer Rezession als öffentliches Interesse einzustufen. Dass dies nicht entschädigungslos erfolgen kann, ergibt sich aus der EMRK. Art 1 1.ZPMRK verlangt, dass die Entschädigung für Eigentum, das vom Staat enteignet wurde, in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des Eigentums steht. Ist dies eine angemessene Lizenzgebühr, der Wert des Unternehmens zum Zeitpunkt der Enteignung etc. Die Grundsätze für die Enteignung eines Hauses können wohl in solch einer Situation nicht herangezogen werden, eher jene für die Berechnung einer angemessenen Lizenzgebühr nach dem Patentgesetz.

Nur auch eine Enteignung wird nicht zielführend sein. Weder der ehemalige Eigentümer noch die Mitarbeiter können verpflichtet werden, ihr Arbeitsverhältnis mit dem neuen Eigentümer aufrecht zu erhalten. Der Brain-Drain wird bei einer wohl erzwungenen Übernahme nicht zu vernachlässigen zu sein. In diesem Sinne stellt eine Enteignung nichts anderes als eine feindliche Übernahme dar, die oftmals dazu führt, dass die fähigsten Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Die Konkurrenz wartet schon oder Universitäten in anderen Staaten mit gutem Ruf und entsprechender finanzieller Ausstattung samt Beteiligung am Endprodukt. Es geht daher schlicht und ergreifend das Know-How verloren. Sollte schon eine exklusive Lizenzvereinbarung abgeschlossen sein, gilt auch im Falle einer Enteignung: pacta sunt servanda auch wenn der Staat oder ein staatsnahes Unternehmen der neue Eigentümer ist. Die Vertragsstrafen sind normalerweise empfindlich hoch.

Conclusio

Wenn daher die Allgemeinheit ohne drakonische Maßnahmen, die gravierend in das Eigentumsrecht und in das Rechtsgefüge eingreifen, zu setzen, an diesen Rechten partizipieren sollen, wird es dies wohl nur über Teilnahme an der Forschung selbst, zB im Rahmen eines Christian Doppler Labors oder einem COMET-Zentrum. Über diese Instrumentarien ist sichergestellt, dass die geistigen Eigentumsrechte zwischen den Partnern vorab definiert werden, somit klar ist, wem welche Rechte am Ende des Tages zustehen. Aufgrund der Partnerschaft zwischen den öffentlichen Körperschaften und der Industrie sollte auch gewährleistet sein, dass die Forschungsergebnisse in die Praxis umgesetzt werden können. Gerade im Zuge der Verhandlungen, ist dies auch bei diesen Projekten ein Dealbreaker, wenn sich die Parteien nicht einigen können. Daher ist es wichtig in der Praxis, gerade dieses Thema am Anfang aktiv anzugehen, um nicht umsonst zu verhandeln. Dies bedeutet aber eine vorausschauende Planung, wohl von beiden Seiten. Die nächste Pandemie kommt sicher.